[aus dem Jahr 1971]
Es ist Zeit, wieder klar zu sehen
Thesen zur Reorientierung von SPARTACUS
I.
1) Wir haben unsere Arbeit zunächst unter der etwas naiven Annahme aufgenommen, SPARTACUS brauchte
sich nur an die Spitze bereits stattfindender Massenkämpfe der
Arbeiterjugend zu setzen, um diesen durch unsere organisierende und
orientierende Intervention eine politische Dimension zu geben und für
die Verwurzelung eines kommunistischen Kaders in der Arbeiterklasse
fruchtbar zu machen.
2) Mittlerweile ist uns bewußt geworden, daß es auch in der
Arbeiterjugend noch darauf ankommt, diese Kämpfe allererst zu
initiieren. Diese Einsicht hätte bereits unmittelbares Ergebnis unserer
theoretischen Ausgangsthesen sein müssen; denn wenn es stimmt, daß die
Arbeiterjugend derjenige Teil der
Arbeiterklasse ist, der bereits heute seine elementaren materiellen
Interessen nicht anders als im politischen Kampf gegen das Kapital
wahrnehmen kann, dann ist die Einsicht in diese politische Tragweite der
Interessen der Arbeiterjugend selbst schon Voraussetzung dafür, daß die
Kämpfe überhaupt zustande kommen. Eben weil die Arbeiterjugend keine
Möglichkeiten hat, sich auf Betriebs- oder Branchenebene gegen die
gesamtgesellschaftlich geplante und staatlich abgesicherte
Entqualifizierung zur Wehr zu setzen, war es unrealistisch, auf das
spontane Ausbrechen von Massenbewegungen der arbeitenden Jugend zu
rechnen; die Einsicht in die politische Dimension der Interessen der Arbeiterjugend als Vorbedingung für jeglichen effektiven Kampf kann wiederum allein von der Kommunistischen Jugendorganisation in die Massen der arbeitenden Jugend hineingetragen werden. Die KJO
kann sich also nicht dadurch zur Führung der Arbeiterjugend entwickeln,
daß sie bloß in schon stattfindende Kämpfe eingreift, sondern indem sie
die bewußtseinsmäßigen Voraussetzungen für diese Kämpfe – und insofern
die Bedingungen ihrer eigenen Existenz – selbst erst schafft.
II.
3) Dieser vor allem aus den praktischen Erfahrungen gewonnenen Einsicht trägt SPARTACUS
seit über einem Jahr durch eine bewußte Rückkehr zum Vorrang der
Propaganda-Tätigkeit Rechnung. Es wurde jedoch nicht hinreichend
geklärt, wie sich diese taktische Wendung zu den strategischen
Voraussetzungen der Organisation verhielt; denn wenn es auch in der
Arbeiterjugend – ebenso wie in der gesamten Arbeiterklasse! – noch
immer darauf ankommt, durch Propaganda überhaupt erst die
Voraussetzungen für die Entwicklung politischer Kämpfe zu schaffen, wo
bleibt da jene Sonderstellung der Arbeiterjugend, die allein unsere
Bestimmung der KJO als ‚strategisches Moment beim Aufbau der Partei’ rechtfertigen kann?! Konnte sich SPARTACUS
unter solchen Umständen nicht ebensogut – nach Vorbild der diversen
KPD/MLs und „marxistisch-leninistischen Zirkel“ – darauf verlegen,
durch reine Propaganda in der ‚Gesamtklasse’ den Aufbau der
kommunistischen Partei direkt in Angriff zu nehmen?!
Das Versäumnis, das Verhältnis der taktischen Wendung zur strategischen
Prämisse rechtzeitig mit der angemessenen Prägnanz zu klären, rächt
sich heute im Auftreten von Strömungen innerhalb von SPARTACUS, die letzten Endes auf ein Verlassen der KJO-Konzeption
zugunsten einer bloßen Propaganda in der Gesamtklasse hinauslaufen. Es
ist deshalb an der Zeit, noch einmal klarzustellen, weshalb eine
kommunistische Jugendorganisation sowohl möglich als auch notwendig
ist:
4) Die kombinierte Erfahrung der deutschen Arbeiterklasse mit dem
Faschismus auf der einen und dem Verrat ihrer traditionellen
politischen Führungen – Stalinismus und Sozialdemokratie – auf der
anderen Seite haben die Kontinuität der deutschen Arbeiterbewegung für
Jahrzehnte zerrissen. Das äußert sich in einem vollkommenen Verlust der
politischen Dimension in den Kämpfen der Arbeiter. Die definitive
Wandlung der Sozialdemokratie von einer reformistischen Arbeiterpartei
in eine Partei des technokratisch-modernistischen Flügels der
Bourgeoisie und die Degeneration der ‚kommunistischen’ Parteien zu
bloßen Agenturen der konterrevolutionären Bürokratien der
Arbeiterstaaten wirft die westdeutsche Arbeiterklasse auf einen
Bewußtseinsstand zurück, auf dem jede selbständige Klassenpolitik gegen
sämtliche Parteien der Bourgeoisie als unmöglich und illusionär
erscheint, wo den Arbeitermassen und auch ihrer kämpferischen Vorhut
der rein ökonomische Kampf um die Erhaltung und Verbesserung ihrer
materiellen Lebenslage als die einzig denkbare Form der Wahrnehmung
der Interessen als Lohnabhängige erscheinen muß.
Die Unmöglichkeit, die partikularen ökonomischen Kämpfe durch bloße
Verschärfung der Militanz aus ihrer ökonomistischen Borniertheit zu
lösen und zu koordinierten Kämpfen der gesamten Klasse gegen die im
Staat zentralisierte Bourgeoisie zu vereinheitlichen, isoliert die
kommunistischen Kerne von den arbeitenden Massen und reduziert sie zu
Flugblattverteilern am Rande der realen Arbeiterbewegung, die in die
ökonomischen Kämpfe nicht führend eingreifen (und sich so zur wirklichen
Vorhut der Klasse entwickeln) können, sondern zum bloß literarischen
Kommentieren der Ereignisse verurteilt sind.
5) Der Verlust jeder politischen Dimension im Bewußtsein der Massen,
d.h. das bloß ökonomische Niveau der organisierten Arbeiterbewegung,
betrifft die gesamte Klasse, und auch die Arbeiterjugend kann nicht
spontan und organisch diese Beschränktheit überwinden. Zwar haben die
jugendlichen Individuen den kampflosen Zusammenbruch der
Arbeiterbewegung 1933, den Triumph des Faschismus und den doppelten
Verrat von Stalinismus und Sozialdemokratie in der Zeit des
Wiederaufbaus des westdeutschen Kapitalismus nicht mehr am eigenen
Leibe erfahren und die demoralisierende Wirkung der kampflosen
Niederlagen ist nicht mehr so unmittelbar wie in den älteren
Arbeitergenerationen; aber das Klassenbewußtsein ist nicht einfach die
Summe der individuellen Erfahrungen, sondern verkörpert sich in den
kollektiven Erfahrungen der gesamten Klasse, d.h. in ihren
Organisationen und vor allem in ihren politischen Parteien.
Der Verlust der organisierten Gestalt der politischen Erfahrungen
belastet also auch die Bewußtseinsentwicklung der jungen Generation der
Arbeiterklasse. Auch sie kann nicht organisch von der Erfahrung
ökonomischer Kämpfe zu einer politischen Ebene des Bewußtseins
aufsteigen. Hier wie dort ist das Vorhandensein einer bereits
verankerten und bewährten politischen Avantgardeorganisation
Voraussetzung für die Vermittlung der bloß ökonomischen Anlässe der
Arbeiterkämpfe mit den letztlich politischen Ursachen der
Klassenunterdrückung, und hier wie dort ist gerade diese subjektive
Voraussetzung ebensowenig gegeben.
6) Jedoch trifft die Arbeiterjugend objektive Bedingungen an, unter
denen sie ihre wirtschaftlichen Interessen einzig dann wahrnehmen kann,
wenn sie sie von Anbeginn politisch, und das heißt im Kampf nicht bloß
gegen einen Teil, sondern gegen die Gesamtheit der Bourgeoisie wendet.
Die gesellschaftliche Existenz der Arbeiterjugend ist geprägt durch die
Tendenz zur Entqualifizierung, die ihrerseits eine notwendige Folge und
Voraussetzung der Automation ist. Der Zwang zur Erhöhung der
organischen Zusammensetzung des Kapitals ist ein allgemeines
Entwicklungsgesetz der kapitalistischen Produktionsweise – er gehört zum
Kapitalismus ebenso wie Markt und Konkurrenz. Dieser Zwang setzt sich
aber gerade in der Konkurrenz durch, d.h. im Versuch der
Einzelkapitalien, durch Erhöhung ihrer organischen Zusammensetzung über
den Marktmechanismus Extraprofite aus weniger stark kapitalisierten
Bereichen an sich zu ziehen. Die Grundlage für diesen Mechanismus ist
gerade die Ungleichzeitigkeit der kapitalistischen Entwicklung, d.h. der
Umstand, daß sich der technologische Fortschritt eben zunächst
vereinzelt durch die Ebene bestimmter Branchen und selbst einzelner
Betriebe innerhalb dieser Branchen vermittelt durchsetzt. Dadurch
erscheint die Tendenz zur Erhöhung der organischen Zusammensetzung –
gegenwärtig als Tendenz zur Automation – den davon unmittelbar
betroffenen Proletariergruppen zunächst als rein ökonomisches Phänomen,
das auch nur ökonomistisch, d.h. betriebs- oder branchenspezifisch
bekämpft werden kann (siehe tarifliches Rationalisierungsschutzabkommen
usw.) – obgleich es sich selbstverständlich abstrakt genommen um nicht
weniger handelt als um das wesentliche Entwicklungsgesetz des
Kapitalismus als gesellschaftliches System.
Dagegen trifft die Entqualifizierung als Voraussetzung und Folge der
Automation die Arbeiterjugend nicht zuerst auf der Ebene einzelner
Branchen und einzelner Betriebe, sondern unvermittelt als kalkulierter
Plan der gesamten Kapitalistenklasse, den sie zentralisiert auf der
Ebene des bürgerlichen Staates, nämlich mit Hilfe von
Berufsbildungsgesetzen, durchzusetzen strebt. Diesem Resultat der
Automation kann die Arbeiterjugend in keiner Weise durch ökonomischen
Kampf auf der Betriebs- und Branchenebene entgegentreten, sondern – wenn
überhaupt – als Kampf gegen die Gesetze der kapitalistischen
Entwicklung selbst, und das heißt konkret: durch Kampf gegen die im
Staat organisierte kapitalistische Gesamtklasse – also politisch!
7) Dies ist und bleibt die entscheidende Bedingung, die der
westdeutschen Arbeiterjugend ihren besonderen Platz in der Entwicklung
proletarischen Klassenbewußtseins zuweist – nicht, daß es ihr möglich
wäre, dank bloß propagandistischer ‚Vermittlung’ aus den ökonomischen
Kämpfen in die politischen hinüberzu‚wachsen’, sondern daß sie sogleich
politisch kämpfen muß, sofern es gelingt, sie überhaupt für den Kampf um
ihre eigenen materiellen Interessen zu gewinnen. Hier liegen
Möglichkeit und Notwendigkeit der kommunistischen Jugendorganisation
gleichermaßen begründet, und in dem Umstand, daß es sich beim Kampf
gegen die Entqualifizierung der Arbeitskraft um einen Kampf gegen die
Entqualifizierung der Arbeitskraft um einen Kampf gegen die
Bewegungsgesetze des Kapitalismus selbst, gegen die Spaltung der
Arbeiterklasse durch die Automation handelt, liegt der unmittelbare
Berührungspunkt zwischen den materiellen Tagesinteressen der
Arbeiterjugend und den historischen Interessen der Arbeiterklasse –
hier tritt uns die ebenso notwendige wie mögliche kommunistische
Jugendorganisation als strategisches Moment beim Aufbau der
revolutionären Klassenführung entgegen.
III.
8) Die taktische Rückbesinnung auf den Vorrang der Propaganda wurde
also nicht aufgrund einer immanenten Schwäche der strategischen
Prämissen notwendig, sondern aufgrund einer anfänglichen Überschätzung
der eigenen Interventionsmöglichkeiten – einer Fehleinschätzung, die
uns bei einer konsequenteren Weiterentwicklung unserer strategischen
Prämissen gar nicht hätte unterlaufen dürfen. Die naive Annahme einer
bereits kämpfenden Massenbewegung der arbeitenden Jugend widersprach
doch geradezu diesen theoretischen Ausgangspositionen, und so war sie
denn auch nicht Ergebnis einer fehlerhaften theoretischen Reflexion,
sondern einer impressionistischen Verwechslung des Massenanhangs, den
sich die antiautoritäre Studentenbewegung Ende der 60er Jahre unter den
Lehrlingen hatte schaffen können, mit einer genuinen
Arbeiterjugendbewegung.
In Wahrheit handelt es sich hier jedoch nicht um eine eigenständige
Bewegung eines Teils der Arbeiterjugend, sondern um die massenhafte
Mobilisierung von Lehrlingsindividuen für die Ziele einer fremden, im
Wesen kleinbürgerlichen Bewegung. Der Beginn dieser Mobilisierungen
stand unterm Zeichen von zunächst durchaus klassenunspezifischen Themen
wie Vietnam-Krieg und dem Kampf gegen die Notstandsgesetze. Diese beiden
für die Entwicklung der „Außerparlamentarischen Opposition“ zentralen
Kampagnen wurden in einer völlig abstrakten Form betrieben, die
jeglichen Zusammenhang beider Komplexe mit den Klassenkämpfen in
Westdeutschland vollständig übersah, wenn nicht gar ausdrücklich
leugnete: Handelte es sich bei der Anti-Notstandskampagne um den
Widerstand gegen einen schlechthin ‚autoritären’ Staat, so verstand man
den Vietnam-Krieg als eine Auseinandersetzung zwischen einer ‚an sich’
revolutionären „Dritten Welt“ und den zutiefst konterrevolutionären
„Metropolen“, innerhalb derer revolutionären Initiative allenfalls von
den „Randgruppen“ ausgehen konnte, nicht jedoch von einer vollständig
verbürgerlichten Arbeiterschaft. Die Arbeiterjugend tritt daher
bezeichnenderweise zuerst nicht in Gestalt des Lehrlings, sondern in der
Gestalt des Berufsschülers in den Gesichtskreis der „Bewegung“!
9) Die Ansätze zu einer selbständigen „Lehrlingsbewegung“ treten erst in
der Niedergangsphase der antiautoritären Studentenrevolte (seit Herbst
1968) auf, als die „Bewegung“ aus Selbsterhaltungstrieb die in der
Aufstiegsphase kultivierte Organisationsfeindlichkeit zugunsten eines
Mythos der „Selbstorganisation“ aufgeben mußte, wenn sie wenigstens
Bruchstücke des Erreichten erhalten wollte.
Ideologisch wurde diese Wendung wie zuvor mit der Phrase
„Selbstbestimmung“ legitimiert, und das bedeutete von nun an:
„Revolutionierung der eigenen Existenz“, „Jeder macht seine eigene
Sache“ usw. Von den Studenten im Stich gelassen, begann jener kleine
Teil der mobilisierten Lehrlinge, deren Politisierung zu tief gedrungen
war, als daß sie im ‚underground’ hätten versacken mögen, sich – unter
Anleitung sozialpflegerisch gesonnener Studenten und Lehrer – „um ihre
eigene Sache zu kümmern“, aber dies eben eher der Not gehorchend als den
eigenen Einsichten: Um von der Bewegung in ihrem gesellschaftlichen
Bereich zu retten, was zu retten war; also aus der Defensive heraus –
noch immer unter antiautoritären Vorzeichen.
Die Besinnung auf die gesellschaftliche Lage der arbeitenden Jugend und
der Lehrlinge insbesondere ist von den Umständen aufgezwungen und zu
oberflächlich, als daß sie von sich aus eine politische Plattform zu
liefern vermochte, von der aus die Masse der antiautoritär mobilisierten
Lehrlinge in eine klassenbewußte Bewegung der Arbeiterjugend hätte
hinübergeleitet werden können.
Eine solche Plattform hätte auch damals nur von einer bereits
bestehenden revolutionären Jugendorganisation in die Überreste der
„Bewegung“ hineingetragen werden können, und wenn diese Chance nicht
genutzt wurde, so fällt dies in die alleinige Verantwortung der
damaligen „Deutschen Sektion (des V.S.) der IV. Internationale“, deren
Konservatismus und Opportunismus die frühzeitige Entstehung einer
solchen Jugendorganisation verhindert hat; erst als der revolutionäre
Teil der „Sektion“ der lahmenden Disziplin dieser politisch toten
Organisation enthoben war, wurde der Weg frei für den Aufbau der
kommunistischen Jugendorganisation SPARTACUS.
10) Selbstverständlich lag die letztendliche gesellschaftliche Ursache
für die Bereitschaft der Lehrlinge, sich für die Ziele der
antiautoritären Bewegung zu mobilisieren, in der Krise des beruflichen
Ausbildungssystems; aber die Bourgeoisie wäre nicht die herrschende
Klasse, wenn sie die Arbeitermassen nicht auch ideologisch beherrschen
könnte, und so ist es unvermeidlich, daß die politische Mobilisierung
auch der Arbeiterjugend nicht bei der Einsicht in die letzten Ursachen
ihrer gesellschaftlichen Unterdrückung beginnt, sondern zunächst bei
eher vordergründigen Anlässen ansetzt – und selbst dies häufig nur im
Nachtrab hinter fremden Bewegungen. Die Aufgabe der KJO ist es gerade,
sich nicht aristokratisch über diese meist im Überbau verhafteten
Anlässe zu erheben, sondern sie aufzugreifen, um hinter den
illusorischen „Interessen“ des Augenblicks die verborgenen
gesellschaftlichen Ursachen der Unterdrückung der Arbeiterjugend zu
enthüllen.
11) Die Kampagne gegen das Berufsbildungsgesetz im Frühjahr 1969, die
vor allem von politischen Jugendgruppen getragen war, die mit der
antiautoritären Bewegung gebrochen hatten – SDAJ, Rote Garde, Junge
Garde und SPARTACUS –, traf gerade mit jener Phase im Zerfallsprozeß
der „APO“ zusammen, wo die „Selbstorganisation“ unter den Lehrlingen
einige momentane Früchte gezeitigt hatte.
Die Kölner Demonstration gegen das Berufsbildungsgesetz erscheint daher
als der Höhepunkt einer in Wahrheit noch gar nicht vorhandenen Bewegung
der Arbeiterjugend bzw. einer angeblichen „Lehrlingsbewegung“. In
Wirklichkeit bietet sie im Gegenteil die erste Chance zur Entstehung
einer solchen Bewegung der Arbeiterjugend für ihre spezifischen
Interessen; es war dies zugleich die letzte Gelegenheit, die Überreste
der „APO“ im Lehrlingsmilieu für eine Jugendbewegung auf proletarischer
Klassengrundlage fruchtbar zu machen. Die notwendige Bedingung dafür
wäre die Einsicht gewesen, daß auch die Arbeiterjugend ihren Kampf
innerhalb der Gewerkschaften – und das heißt zugleich: gegen die
Bürokratie – führen muß. Die SDAJ als stärkste politische Gruppierung
innerhalb der Arbeiterjugend konnte eben diese Voraussetzung nicht
schaffen, da sie die einzige Perspektive für den innergewerkschaftlichen
Kampf – die Befreiung der Gewerkschaftsjugendorganisationen aus
vollständiger Abhängigkeit vom Apparat – wegen ihrer Unterordnung unter
die DKP nicht zu weisen vermochte, sondern sich auf vorgeblich
‚unabhängige’ Lehrlingskomitees verlegen mußte.
Auf der anderen Seite war SPARTACUS selbst zu schwach, auf
Bundesebene den Auflösungsprozeß der „Selbstorganisation“ der Lehrlinge
durch eine Wendung zur Organisierung innerhalb der Gewerkschaft
aufzufangen, denn es hätte einer zentralisiert organisierenden
Intervention bedurft, die SPARTACUS nicht zu leisten vermochte,
solange die einzige konsolidierte Organisationseinheit die Westberliner
Gruppe war. Welche Chancen eine durchgebildete KJO zum Zeitpunkt
der Kölner Demonstration gehabt hätte, zeigt der Umstand, daß allein
unser Auftreten in Köln die Voraussetzung für den Aufbau der
Regionalorganisation NRW geschaffen hat. Immerhin gelang es uns
stellenweise, auf lokaler Ebene nachzuholen, wozu wir im Juni 1969 auf
Bundesebene nicht die Kraft hatten (vorübergehend in Köln, vor allem
jedoch in Essen).
In der zweiten Hälfte 1969 bis zum 1. Mai 1970 unternimmt unsere
Organisation den angestrengten Versuch, nachzuholen, wozu uns zur Zeit
der Kölner Demonstration die Kraft fehlte. Mit Hilfe der
„oppositionellen Jugendblöcke“ am 1. Mai, mit Komitees der
oppositionellen Gewerkschaftsjugend usw. wird der Versuch unternommen,
auf lokaler Ebene die zerstreuten Überbleibsel der ,Lehrlingsbewegung’
um uns zu sammeln – ein Versuch, der auf regionaler Ebene immerhin so
erfolgreich war, daß wir uns im Herbst ’70 das Ziel einer bundesweiten SPARTACUS-Organisation unmittelbar stellen können (Arbeitskonferenz in Dortmund).
IV.
12) Erst in der Kampagne gegen das Berufsbildungsgesetz tritt mit den
Stufenplänen das Problem der Entqualifizierung in den Gesichtskreis der
,Lehrlingsbewegung’, und es ist auch kein Zufall, daß die Tendenz zur
Entqualifizierung – mit ihrer letzten Konsequenz: der strukturellen
Jugendarbeitslosigkeit – erst zu diesem Zeitpunkt ins Zentrum unserer
theoretischen Argumentation rückt.
Unsere Tendenz ist in den Traditionen der kommunistischen
Arbeiterbewegung nur durch einige brüchige Fäden verwurzelt, nämlich
allein durch die gedruckten Texte – und nicht etwa dadurch, daß sich
unsere Organisation oder auch nur ihre führenden Kader selbst aus den
wirklichen Kämpfen der Arbeitermassen heraus entwickelt hatten. So
liegt die einzige Chance, die toten Buchstaben lebendige Wirklichkeit
werden zu lassen, in dem unablässigen Bemühen, ihre Aussagen an den
Erfahrungen zu messen, die wir selbst hier und heute machen können. So
verengt unsere Möglichkeiten zu praktischen Kampferfahrungen sind und
so dürftig ein bloß literarisches Anknüpfen an die Geschichte der
kommunistischen Arbeiterbewegung bleiben muß, so unvollkommen und
bruchstückhaft müssen zunächst noch die theoretischen und taktischen
Weiterentwicklungen und Konkretionen unserer strategischen
Grundpositionen bleiben. Wer uns gerade unser Verdienst – nämlich die
Fähigkeit, aus praktischen Erfahrungen Rückschlüsse für unsere
theoretischen Voraussetzungen zu ziehen – zum Vorwurf des „Empirismus“
verkehren will, ist ein intellektueller Snob, der nicht begreift, daß
mangels eigener programmatischer Traditionen der stete Rekurs auf die
unmittelbaren Erfahrungen unsere eigene Chance bleibt, Fortschritte bei
der Ausformulierung unserer strategischen Linie zu machen.
13) Die Einsicht in die historischen Dimensionen der Tendenz zur
Entqualifizierung lieferte uns die materialistische Grundlegung unserer
Bestimmung der KJO als strategisches Moment beim Aufbau der
Partei. Hier fanden wir eben jenes Bindeglied zwischen den zu führenden
‚Tages’kämpfen der Arbeiterjugend und den revolutionären Interessen des
Proletariats als Klasse, das uns bislang gefehlt hatte und das wir auf
spekulative Weise durch die Erwartung wiederholter apokalyptischer
Katastrophen im Stil des französischen Mai ’68 hatten ersetzen müssen.
Nun war es möglich, unsere strategische Konzeption von den
idealistischen Eierschalen zu reinigen, die ihr anfänglich angehaftet
hatten, solange wir nämlich sowohl die Notwendigkeit der KJO als
auch ihre Bedeutung für den Aufbau der Partei weitgehend aus
Krisenerscheinungen des Überbaus abgeleitet hatten. (Es sei übrigens
darauf hingewiesen, daß wir diese Korrektur nicht unter der Hand
einführten, sondern offen und erklärtermaßen.) Nun erst gelang es uns,
die Interessen der Arbeiterjugend in Gestalt der „Drei Forderungen“ zu
einer vereinheitlichenden und politisierenden Kampfperspektive zu
formulieren – als Voraussetzung für den Beginn einer konkreten
Intervention in den Gewerkschaften, wie [sie, SpaBu-Doku] in den
folgenden Monaten den wesentlichen Teil, wenn nicht die Gesamtheit
unserer Tätigkeit ausmachen sollte.
14) Dabei wurden allerdings sowohl jene Ansatzpunkte sowohl theoretisch
als auch praktisch vernachlässigt, die uns ursprünglich zur Einsicht in
die Notwendigkeit der KJO veranlaßt hatten und die ja nicht an
und für sich idealistisch und daher falsch geworden waren, sondern nur
in ihrer auf Überbauphänomene fixierten Unvollständigkeit! Die
Möglichkeit einer massenhaften Bewegung der Arbeiterjugend ist
vorderhand nicht einfach durch die Tendenz zur Entqualifizierung der
Arbeitskraft gegeben, sondern dadurch, daß die bürgerliche Gesellschaft,
um diese wirksam durchsetzen zu können, die Arbeiterjugend in allgemein
gesellschaftlich-kultureller Weise besonders unterdrücken muß. Die
Erfahrung dieser ‚zusätzlichen’ Unterdrückung schafft die subjektiven
Vorbedingungen für eine breite Mobilisierung der Arbeiterjugend. Die
Tendenz zur Entqualifizierung ist eben nur die Ursache für die
Unterdrückung der Arbeiterjugend und nicht schon die konkret erfahrbare
Form der Unterdrückung selbst. So ist die Einsicht in den
Vermittlungszusammenhang zwischen den unmittelbaren Interessen der
Arbeiterjugend und den historischen Interessen des Proletariats nicht
schon die Voraussetzung für die bloße Existenz einer politischen
Organisation der Arbeiterjugend, sondern erst für das Verständnis ihres
notwendig kommunistischen Charakters und ihrer Rolle im
Entwicklungsprozeß der revolutionären Klassenführung.
All diejenigen Mobilisierungsthemen, die sich aus der besonderen
Benachteiligung der Arbeiterjugend im allgemein-gesellschaftlichen und
kulturellen Bereich unmittelbar ergeben, wurden vollends zugunsten einer
zunehmend abstrakteren Propagierung der Drei Forderungen und des
antibürokratischen Kampfes in den Gewerkschaften verdrängt. Diese
„Überkorrektur“ eines anfänglichen Fehlers sollte sich indes bald
ihrerseits als ein recht kostspieliges Mißverständnis erweisen.
V.
15) Da es nicht gelungen war, die Überreste der antiautoritären
Mobilisierung im Lehrlingsmilieu in eine klassenbewußte proletarische
Jugendbewegung hinüberzuführen, war SPARTACUS ab Mitte 1970
weitgehend auf seine eigenen Kräfte zurückgeworfen. Unsere
Interventionsmöglichkeiten gegenüber der Masse der Arbeiterjugend wurden
zusätzlich dadurch verengt, daß ein Großteil der potentiellen
Führungskader einer proletarischen Jugendbewegung die Wendung der
„Außerparlamentarischen Opposition“ zum stalinistischen Dogmatismus und
Sektierertum mitgemacht hatten und nun in „Parteien“ und „Zirkeln“
gebunden waren, die versuchen, sich durch bloße Propaganda in der
,Gesamtklasse’ als revolutionäre Avantgarde zu beweisen, ohne der
Arbeiterjugend eine besondere Bedeutung beizumessen. So wurde ein
beachtlicher Teil der besten Kräfte für die Entwicklung einer
Massenbewegung der Arbeiterjugend neutralisiert und brachgelegt
Daß sich auch diese begrenzten Möglichkeiten um die Mitte 1970
weitgehend erschöpft hatten, schlägt sich in der erneuten Hinwendung zur
Propaganda nieder. Und hier unterliegt SPARTACUS eben den
Gefahren, die jede Propagandagesellschaft heimsuchen: die Neigung zu
immer dürreren Abstraktionen, mechanischen Wiederholungen, Formalismus,
Mangel an taktischer Initiative, Routine, programmatischer Stillstand,
gepaart mit scholastischer Haarspalterei.
16) Und warum?
Die Hauptaufgabe der propagandistischen Etappe ist zunächst die Profilierung von SPARTACUS
als eine besondere, unverwechselbare politische Tendenz im
Bundesrahmen. Diese Profilierung gelingt vornehmlich in der Polemik
gegen rivalisierende linksradikale Gruppen, denen gegenüber unser
bedeutendster Trumpf die Überlegenheit unserer strategischen Konzeption
ist. Es ist daher nur logisch, daß in unserer Propaganda immer wieder
in den Vordergrund gerückt wird, daß und wie unsere Konzentration auf
die Arbeiterjugend gerade der angezeigte Weg zur Verankerung der
Kommunisten in der Arbeiterklasse als Ganzes ist. Es handelt sich hier
ja gerade nicht um Agitation gegenüber einer Masse von politisierten
jugendlichen Arbeitern, sondern um einen reinen Ideenstreit zwischen
kleinen Gruppen, die ebenso isoliert wie wir außerhalb der
Arbeiterbewegung stehen. Die Verengung unserer Propaganda auf den
Angelpunkt zwischen den Tagesinteressen der Jugend und dem historischen
Gesamtinteresse der Klasse ist hier gerade von Vorteil, wo es doch den
strategischen Stellenwert der KJO beim Aufbau der Partei zu
beweisen gilt – während eben diese Verengung auf der anderen Seite die
ohnehin nicht zahlreichen Möglichkeiten der agitatorischen Einwirkung
auf die Arbeiterjugend weiter beschneidet! Bezeichnend dafür ist, daß
wir unsere organisatorischen Fortschritte in den westdeutschen Regionen
nicht der Entfaltung politischer Kampagnen, sondern unserem
propagandistischen Einwirken in die inneren Friktionen rivalisierender
linker Gruppen verdanken (jüngstes Beispiel: Süd-West).
17) Das führt schließlich sogar zu propagandistischen Verzerrungen
unserer Gewerkschaftstaktik, die mechanisch und geradezu
vulgär-materialistisch ausschließlich vom strategischen ‚Angelpunkt’
hergeleitet wird, wobei die konkreten Vermittelung der diversen
unmittelbaren ‚Anlässe’ zur Mobilisierung der Arbeiterjugend elend auf
der Strecke bleiben. Gegenüber dem Versuch, Lehrlings- und
Jungarbeitergruppen auf einer vorpolitisch-kulturellen Grundlage
aufzubauen, verhalten wir uns mit überlegener Geringschätzung. Wir
wissen, daß die Interessen der Arbeiterjugend letzten Endes nur
vermittels eines politischen Kampfes innerhalb der Gewerkschaften
wahrgenommen werden können, und diejenigen ansatzweise politisierten
Lehrlinge und jungen Arbeiter, die das noch nicht so gleich begreifen
wollen, erachten wir nicht als unserer tätigen Aufmerksamkeit wert. So
geschieht es, daß wir weiterhin ziemlich alleine in der leeren Hülse
der Gewerkschaftsjugendgruppen hocken und mit stoischem Gleichmut auf
den Tag warten, da die jugendlichen Arbeiter aus irgendeinem Grund in
die Gewerkschaften strömen und zu ihrer freudigen Überraschung dort…
uns antreffen werden!
18) Diese falschen Konsequenzen der Hinwendung zur Propaganda – nämlich
das mangelnde Verständnis, daß es gerade die Aufgabe der KJO ist,
die elementar mobilisierten Arbeiterjugendlichen über ihren
halb-politischen Beschränktheiten hin aus- und in die
Gewerkschaftsarbeit hineinzuführen, statt ihnen ein Ultimatum zu stellen
– bringen uns dahin, daß wir die Überlegenheit unserer strategischen
Orientierung gerade nicht in der Praxis unter Beweis zu stellen
vermögen. Und wenn wir keine wesentlichen praktischen Erfolge als Beweis
für die Richtigkeit unserer Konzeption anführen können – umso mehr
Grund, die Auseinandersetzung erst recht auf der rein
theoretisch-polemischen Ebene zu intensivieren! So entwickelt der
Propagandismus seine eigene Logik, die auf die Inhalte der Propaganda
selbst verkürzend und vulgarisierend zurückschlägt – und dies zumal, als
die Propaganda immer mehr defensive Züge annimmt. Solange der
praktische Beweis unserer Thesen einstweilen noch aussteht, fragt man
uns, warum wir uns dem mühseligen Umweg über die Arbeiterjugend
unterziehen, wo man doch bloße Propaganda ebensogut gleich in der
‚Gesamtklasse’ betreiben kann. Und um der Unterstellung zu begegnen,
hier handle es sich um schlichten Mangel an revolutionärer Kühnheit,
wird immer häufiger und schließlich immer lauter herausgestellt, wie
sehr ja die Orientierung auf die Gesamtklasse in der KJO-Perspektive
selbst schon angelegt ist, und um sich nicht unrevolutionären Kleinmut
nachsagen zu lassen, wird dann schließlich in der Tat immer stärkeres
Gewicht auf das Flugblattverteilen an die „Gesamtklasse“ gelegt. Das
führt bis zu eben jenem Punkt, wo die Defensive in die Kapitulation
umschlägt.
Ist der ‚Umweg’ über die Arbeiterjugend nicht tatsächlich vertane
Zeit?! Eine politische Massenbewegung gibt es in der Arbeiterjugend
schließlich ebensowenig wie in der Gesamtklasse! Usw., usf. ... Auf
einmal ist alles wieder vergessen, was wir uns in drei Jahren mühsam an
theoretischer Grundlage erarbeitet haben. Wenn die vorgefundene
Wirklichkeit den eigenen Wünschen nicht entspricht, kann man zwei Dinge
tun: Man kann sie kritisch begreifen, oder man kann sie
rationalisieren – wobei das zweite Verfahren meist etwas eleganter
wirkt. Immerhin mogelt man sich damit um das Eingeständnis herum, durch
eigene Versäumnisse selbst dazu beigetragen zu haben, daß sich eine
kämpfende Bewegung der Arbeiterjugend nicht einmal in wahrnehmbaren
Umrissen entwickeln konnte. Statt dessen gibt man sich nun ungehemmt den
betörenden Suggestionen der „marxistisch-leninistischen“ Zirkel hin,
die es eh schon gewußt haben, daß man sowieso nichts anderes machen kann
als Propaganda in der Gesamtklasse…
Der schwierigere, aber einem Bolschewisten angemessene Weg ist
zweifellos der einer konkreten und deshalb verbindlichen Selbstkritik.
(Eine pauschale Selbstkritik verpflichtet zu gar nichts!)
Wir müssen erkennen, wie sehr das Abrutschen von SPARTACUS in
einen faulen Propagandismus dafür verantwortlich war, daß die Bewegung
der Arbeiterjugend seit über einem Jahr nicht wesentlich weiter gekommen
ist, wir müssen eingestehen, daß wir die Schwierigkeiten, in denen wir
uns befinden, durch ein sektiererisches und ultimatives Mißverstehen der
Propagandaarbeit und durch eine Verkürzung und Vulgarisierung der
propagierten theoretischen Inhalte selbst verschuldet haben.
VI.
19) Es ist an der Zeit, sich darauf zu besinnen, daß unser
propagandistisches Einwirken in die Gesamtklasse ihren politischen Sinn
nur insofern findet, als sie stets unserer strategischen Hauptaufgabe –
Aufbau der kommunistischen Jugendorganisation durch Entfaltung einer
politischen Bewegung der Arbeiterjugend – funktional zugeordnet
bleiben. Jede einzelne taktische Initiative muß sich stets neu vor der
strategischen Leitlinie der Organisation konkret legitimieren – dies ist
die einzige Barriere gegen ein Abgleiten in perspektivlose,
pluralistische Handwerkelei und ist insofern Existenzbedingung einer
kommunistischen Organisation!
Die Verselbständigung einer bestimmten Seite unserer Taktik gegenüber
ihrer strategischen Grundlage, ihre Lösung aus ihrem
Funktionszusammenhang, muß notwendig schließlich die Strategie selbst
in Frage stellen – und mit ihr die Einheit der Organisation. Diese
elementare Erkenntnis war es, die uns am Anfang unserer Entwicklung als
politische Tendenz in unüberbrückbaren Gegensatz sowohl zur
antiautoritären Bewegung als auch zur ‚Alten deutschen Sektion’ gebracht
hat und die Entscheidung für den Aufbau einer bolschewistischen
Organisation ebenso möglich wie zwingend gemacht hat. Jene
Verselbständigung der Propaganda gegenüber der Gesamtklasse in der
letzten Periode – als zeitweiliges Abweichen gegenüber unserer
strategischen Konzeption – hat die Weichen für jene Tendenzen gestellt,
die heute diese Strategie selbst liquidieren wollen. Die bewußte
Rückbesinnung auf unsere strategischen Hauptaufgaben wird heute zur
Existenzfrage unserer Organisation – zur Frage nach ihrem Fortbestehen
auf bolschewistischer Grundlage.
20) Die unterschwellig eingebürgerte Verwechslung der letzten
gesellschaftlichen Ursachen der besonderen Unterdrückung der
Arbeiterjugend mit den jeweils aktuellen Anlässen, die die
Herausbildung einer politischen Bewegung der Arbeiterjugend zu führen
ermöglichen, darf nicht weiterhin unsere Agitation und Propaganda
verkürzen und sterilisieren.
Die praktische Tätigkeit von SPARTACUS muß wieder darauf
gerichtet sein, jene konkreten Ansätze zu einer Mobilisierung der
Arbeiterjugend aufzugreifen und zu der politischen Einsicht weiter zu
entwickeln, daß auch die scheinbar vordergründigen Tagesprobleme der
Arbeiterjugend letzten Endes erst im Rahmen einer kommunistischen
Orientierung auf die Gewerkschaftsbewegung wirksam in Angriff genommen
werden können.
21) Zu diesen Anlässen, die zur politischen Aktivierung der
Arbeiterjugend beitragen, zählen auch weiterhin diejenigen Themen, die
die jungen Arbeiter in ihrer allgemeinen Lebenslage als Proletarier
betreffen, nämlich Lohnkämpfe und die Kämpfe um die Erhaltung der
demokratischen Rechte der Arbeiterbewegung. Solche
Propaganda-Interventionen in die Kämpfe der gesamten Arbeiterschaft
haben darüber hinaus die Funktion, wenn schon nicht unserer Positionen
allgemein verständlich, so doch unsere Tendenz immerhin allgemein
bekannt zu machen – und im besten Fall individuell erwachsene Arbeiter
für unsere Perspektiven zu gewinnen. Zur Verteidigung des materiellen
Besitzstandes der Arbeiterschaft gehört allerdings auch die Abwehr von
Tariferhöhungen bei öffentlichen Dienstleistungen. Schließlich werden
Aktionen gegen Fahrpreiserhöhungen nicht schon dadurch für Kommunisten
irrelevant, daß sie in Gruppen wie der GIM Sehnsüchte nach den goldenen
Zeiten der antiautoritären Bewegung aktivieren.
Unter jenen Themen der Agitation, die nicht unmittelbar der ökonomischen
Ebene entspringen, fallen vornehmlich Komplexe wie der Widerstand
gegen die physische und geistige Kasernierung der Arbeiterjugend durchs
Militär; die Senkung der Volljährigkeit auf 18 Jahre, der Kampf um den
Abtreibungsparagraphen, Probleme der organisierten Verdummung in
Haupt-, Real- und Berufsschulen usw.
22) Dabei gewinnt die Bewegung gegen den § 218 in mehrfacher Hinsicht
exemplarische Bedeutung für die vielfältigen praktischen Möglichkeiten,
die sich aus einer konkreten Rückbesinnung auf unsere strategischen
Grundlagen für die Entfaltung einer politischen Bewegung der
Arbeiterjugend eröffnen: Erstens wirft der Widerspruch zwischen jenem
Gesetz und der überwältigenden Mehrheit der „souveränen Staatsbürger“
ein Schlaglicht auf die innerste Natur der bürgerlichen ‚Demokratie’
und bietet zugleich einen ausgezeichneten Ansatz, die Rolle der
Sozialdemokratie konkret zu verdeutlichen. Zweitens betrifft der
Abtreibungsparagraph in der Praxis vorrangig die Frauen der
Arbeiterklasse und – verknüpft mit der Frage der kassenärztlichen
Verschreibung von Verhütungsmitteln – speziell jugendliche
Arbeiterinnen!
Drittens kann letzten Endes nur unsere Perspektive gewährleisten, daß
die Anti-218-Bewegung – die ja auch ohne uns bereits vorhanden ist –
nicht in kleinbürgerlichem Feminismus versackt, so daß unsere
Intervention darein ohnehin in unsere politische Verantwortung als
Kommunisten fällt. Schließlich – und dieses vierte ist ein
pragmatisches, aber deshalb nicht weniger triftiges Argument – liegt
hier eine reale Chance, eine politische Kampagne erfolgreich zu fuhren,
nämlich die SPD-Regierung zum offenen Rückzug zu zwingen. Es erübrigt
sich, auf diese allerdings neue Qualität in unserer Agitation
hinzuweisen..
23) Die künftige ZL wird daher beauftragt, eine zentralisierte Intervention der KJO-SPARTACUS
in die Bewegung gegen das Abtreibungsgesetz praktisch vorzubereiten.
Zugleich sollen die Ansätze zu einer Kampagne gegen den Militarismus
wieder aufgegriffen werden. Dazu müssen als erster Schritt – die
Möglichkeiten einer aufklärenden Agitation gegenüber den neu
Einberufenen genau geprüft werden.
24) Diese und die anderen aufgezeigten Agitationsthemen müssen
natürlich vordringlich in die Gewerkschaftsorganisationen hineingetragen
werden – wie es ja auch selbstverständlich ist, daß sich SPARTACUS im Rahmen dieser Bewegungen deren Wendung in die Gewerkschaften hinein als taktische Hauptgabe stellt.
Das heißt konkret, daß wir wieder in jene halb-spontanen,
halb-organisierten, halb-politischen und halb-kulturellen, mehr oder
weniger informellen Gruppierungen hineingehen, in denen sich die
elementare Politisierung von jungen Arbeitern heute noch weitgehend
abspielt (wobei Jours Fixes und Lehrlingszentren natürlich eine
Sonderstellung einnehmen). Nur so wird es uns gelingen, die
propagandistische Stagnation unserer Gewerkschaftsarbeit und unsere
weitgehende Isolierung in den gewerkschaftlichen Jugendorganisationen zu
durchbrechen!
Besinnen wir uns wieder auf unsere strategischen Hauptaufgaben!
Nützen wir alle Möglichkeiten zur massenhaften Mobilisierung jugendlicher Arbeiter!
Schaffen wir die Bedingungen für die Herausbildung einer klassenbewußten Bewegung der Arbeiterjugend!
11. Dezember 1971
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen